Immer wieder beschäftigt mich das Thema „Lernen“ und so lerne ich bei der Vermittlung dieses Themas auch immer wieder dazu.
Wenn Kinder anfangen zu lernen, lernen sie mit allen Sinnen, also Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Fühlen. Stell Dir vor, das Kind betrachtet auf eine Wiese eine Blume:
- es sieht die Schönheit der Gestalt und die bunten Farben,
- es nimmt die Geräusche um die Blume herum wahr, die durch die Insekten entstehen,
- es riecht den Duft der Blume und verbindet diesen mit einer geschmacklichen Erfahrung und
- letztlich berührt es den Stiel, die Blüte, die Blätter
und verbindet das alles in seinem Kopf mit dem Objekt „Blume“. Auf diese natürliche Weise werden über einen Zeitraum der kindlichen Entwicklung alle Dinge geistig erobert. Mit der Blume wird eine Wiese oder ein Feld verbunden, die Wärme der Sonne, die Insekten auf und um die Blume herum, die Schönheit der Natur. Auf diese Weise der Wissensaneignung entstehen unbewusst die Assoziationen, über die dann weiteres Wissen bewusst oder unbewusst anknüpfen kann. Diese Verknüpfungen sind vor allem im späteren bewussten Lernprozess von großer Wichtigkeit. Hier sind jene Punkte, an denen dann das neu zu vermittelnde Wissen andocken kann, bzw. wir auch bewusst Verbindungen herstellen können, um uns Informationen zu merken und zu verarbeiten. Lernen ist also hier noch ein zutiefst interdisziplinärer Prozess, der alle Regionen unseres Gehirns fordert und überall Informationen speichert.
Eskimos unterscheiden beispielsweise 40 Sorten Schnee, die Bewohner des Amazonasgebietes kennen/unterscheiden mehr, als 300 Grün-Töne. Das alles läuft über Assoziationen, weil von der breiten Kenntnis das Leben abhängen kann. Nun, wir kennen dafür mehr, als 30 Fernsehsender, von denen aber keiner wirklich für Lebensqualität sorgt und Bildung kommt da auch nur wenig zu Stande, da dieses Medium eben nicht für soziale Kontakte, die das Gehirn zum Lernen braucht, sorgt und Wissen nur im Austausch erweitert und gefestigt werden kann. Das Gehirn benötigt zum Lernen die Kommunikation und der Monolog des Fernsehers, Videospiels oder iPod hilft dabei nicht. Kommunikation beginnt mindestens bei einem Dialog, nur hier kann sich ausgetauscht werden.
Was sich hier oben mit der Blume so einfach und logisch beschreiben lässt, lässt aber nicht nur in unserem Kopf Emotionen entstehen, sondern löst im ganzen Körper Gefühle aus. So ist jeder bewusste oder unbewusste Lernvorgang mit zunächst Emotionen und nachfolgend Gefühlen verbunden.
Das Lernen mit allen Sinnen beginnt zu enden, wenn wir in die Schule kommen und das Gehirn mit dem akademischen Wissen konfrontiert wird. Hier werden in aller Regel nur noch die Sinne Hören und Sehen angesprochen (daher auch der Spruch: … da wirst du was erleben, wobei dir Hören und Sehen vergehen). Hinzu kommt, dass Kinder sehr schnell erfahren müssen, dass sie eben nicht für sich lernen im Sinne des sozialen Wesens und dem menschlichen Gehirn als dessen höchste Form der Organisation, sondern sie lernen für Anerkennung von Eltern, Lehrern und evtl. auch Klassenkammeraden. Damit nimmt immer mehr die Lernfähigkeit im Sinne der Herstellung von Assoziationen und interdisziplinärem Lernen ab. Die immer weiter zunehmende Spezialisierung in der Wissensvermittlung tut ihr Übriges. Hinzu kommt, dass jene, die Wissen vermitteln auch nicht interdisziplinär denken und handeln. Zu wenig wird der Zusammenhang zwischen den in den einzelnen Fächern vermittelten Stoffen hergestellt. Das Lehrpersonal sieht das eigene Fach mit zu großer Wichtigkeit. Was mit den Emotionen und Gefühlen wird, darüber wollen wir gar nicht reden.
Unsere Lernprozesse laufen zu wenig auf Verstehen, als mehr auf auswendig lernen hinaus. Wissen bedeutet verstehen und mit eigenen Worten wieder geben können. Genau das wird viel zu wenig gefordert. Wer etwas nicht verstehen kann, muss eben auswendig „lernen“ – ohne Sinn (weil der nicht erkannte wird) und Verstand (weil, wo kein Sinn erkannt wird, auch nicht verstanden werden kann). Hinzu kommt, dass Erwachsene – und das schließt das Erzieher- und Lehrpersonal ein – zu wenig wissen, wie ein kindliches Gehirn „funktioniert“. So gehen wir im Umgang mit Kindern vor allem ab dem Zeitpunkt, wo sie in die Schule kommen um, als wären sie Erwachsene. Wir erwarten, dass sie ihre Handlungen und ihr Verhalten so „berechnen und kalkulieren“ oder „überdenken“, wie wir es als Erwachsene tun. Wir versuchen immer wieder zu erreichen, dass sie sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst werden sollen. Das ist bei Kindern hirntechnisch und entwicklungsbedingt nicht möglich. Jedoch entsteht gerade aus dieser Erwartung von Erwachsenen und ihrem strafenden Umgang mit den Kindern eine Verhaltensänderung im Bezug auf die Lernfähigkeit und das Verhalten gegenüber den Eltern und Lehrern und natürlich auch in Gruppen. Die Hirnforschung lehrt uns, dass dieses erwartete Verhalten im frontalen Kortes – dieser liegt unmittelbar hinter der Stirn – erst in einem Alter von ca. 20 Jahren entwickelt ist. Alle vorherigen Bemühungen, hier belehrend zu wirken sind kontraproduktiv. Es ist wie bei einem Rasen. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht, im Gegenteil, der junge Spross wird abgerissen.
Im Prozess des Erwerbs von Bildung ist also zwischen der von Wissen erwerben und der von auswendig erfassen zu unterscheiden. Lernen macht allerdings nur dann Sinn, wenn ich mit dem erworbenen Wissen tatsächlich auch umgehen kann, wenn ich in der Lage bin, es anzuwenden, mit Leben zu erfüllen. Auswendig „gelernte“ Informationen sind kein verstandenes Wissen, nicht wirklich anwendungsbereit, in der Dualität und dem Maschinendenken nach Renè Descartes, und dort befinden wir uns gesellschaftlich noch immer, aber sicherlich akzeptabel.
Anwendungsbereit bedeutet, dass ich Wissen in andere Bereiche überleiten kann, dass ich es nutzen kann, um eine Vielzahl von Fragen zu beantworten und vor allem das Wissen vielfältig interpretieren kann. Und bei der Interpretation sind wir bei dem nächsten Lernhemmnis. Es hat sich zwischen meiner Schulzeit von 1966 – 1976 in der ehemaligen DDR und der meiner jüngsten Tochter bis 2010 an einem Berliner OSZ im Bezug auf Interpretation nichts verändert. Es geht nicht um die persönliche Meinung, das persönliche Verständnis, sondern es werden wieder nur vorgefertigte Meinungen vermittelt, von Lehrern aus Büchern angelesen oder im Studium vermittelt. Die Aufforderung zur Interpretation und nachfolgende Zurechtweisung durch Besserwissen ist der Tod der Kreativität. Selbst mit 19 Jahren hat das meine Tochter noch immer befremdet. Letztlich ist solches „Lernen“ nichts anderes als Pauken, da die eigenen Assoziationen, die eben für eine Interpretation genutzt werden könnten, als unrichtig abgetan werden. Was zählt, ist die Lehrmeinung des Lehrkörpers und so wird das Wissen der Schüler zur Leermeinung.
Was zum Lernen fehlt, ist die Neugier, die durch das Stellen von Fragen erkennbar ist. Gleich, ob ich mit Jugendlichen oder Erwachsenen arbeite, Fragen werden kaum gestellt, weder zu dem vermittelten Stoff, noch zu möglichen interessierenden Fragen. Selbst das Fragen haben wir dem Menschen abgewöhnt, weil er Angst hat, was andere wohl über ihn denken oder er Angst hat vor Minderwertigkeit. Ein Ergebnis unserer Bildung, weil in den Kategorien „… entweder oder …“, „richtig oder falsch“ gedacht wird, wollen wir wieder lernen, brauchen wir „… sowohl, als auch …“.
Lernen der Kinder stößt an die Grenzen der Fähigkeiten von Erwachsenen. Kinder sind in ihrer Lernfähigkeit den Erwachsenen weit überlegen, leider wird das immer wieder verkannt. Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Kinder lernen Rad fahren. Als ich mit ca. 5 Jahren Rad fahren gelernt habe, habe ich es solange versucht, bis es ganz allein geklappt hat, Treten, Lenken und nach vorne schauen, Anhalten und wieder aufsteigen und fahren. Da gab es kein „das kann ich nicht, das wird ja nie was, was wird, wenn ich das kann“. In dieser Phase sind wir alle Lösungsdenker. Jahre später habe ich aus meinem erzieherischen Umfeld deren Zweifel zu meinem Können aber in erster Linie deren eigenem (Un)Vermögen übernommen. Und so werden wir in unserem Denken und dann auch Handeln fremd programmiert und gesteuert. Wir werden zu Problemdenkern. Diese Fremdsteuerung für sich zu erkennen ist die Grundlage zur Veränderung dieser Prozesse.
Über das Lernen von Kindern müssen wir nicht reden, die kommen mit dieser Fähigkeit zur Welt, wir Erwachsenen sind aufgefordert, sie in dieser Fähigkeit durch unsere eigenen Beschränkungen nicht mehr zu behindern. Das Gehirn sorgt für die notwendigen Botenstoffe und den fortwährenden Anreiz und auch die Belohnungen. Hier können wir von den Kindern durch Beobachtung und Nachahmung lernen.
Wie kommen wir Erwachsene aber nun wieder zum Lernen und weg vom pauken. Grundsätzlich geht es um eine breite Allgemeinbildung. Das bedeutet nicht hauptsächlich zu wissen wann Kaiser, König, Königin und General geboren und gestorben sind und welche „persönlichen“ Leistungen sie vollbracht haben, wann welcher Krieg gewonnen oder verloren wurde, sondern bedeutet in erster Linie Kenntnisse über die Natur und den Menschen zu haben. Wichtig ist dabei, seine eigene Rolle in der Gesellschaft zu erkennen, lohnenswerte eigene Ziele zu haben und an deren Verwirklichung zu arbeiten und immer die Fragen nach dem „wie“ und „warum“ zu stellen. Antworten zu den Fragen nicht dort zu suchen, wo alle schon gesucht haben und jeder gelaufen ist, sondern auch nach Alternativen suchen. Nur auf eigenen Wegen kann ich Spuren hinterlassen. Wichtig ist, die Sicht auf die Dinge zu verändern, sie aus unterschiedlichen Richtungen zu betrachten. Dann entsteht neues Wissen, Assoziationen, an die neue Informationen anknüpfen können.
Lernen ist Lösungsdenken!