Bei der Beantwortung der Frage: „Was ist eigentlich Liebe?“ sind die vielfältigsten Antworten möglich. Als junger Mann hatte meine Mutter mir einmal erzählt, dass sie von einem ihrer Liebhaber, der leider viel zu früh verstorben ist, etwas über wahre Liebe erfahren habe. Das hat sich mir damals nicht erschlossen. Leider, so muss ich heute feststellen, hat sie es selber nicht verstanden und kann es deshalb auch nicht leben, weder ihren Kindern noch ihrem heutigen Partner gegenüber.
Was ist nun aber Liebe? Zunächst können wir uns erst einmal bei den alten Griechen, die bei dem Thema Sokrates, aber in der Hauptsache Platon heißen, zu dem Thema belesen. Dabei werden wir feststellen, dass ihr Verständnis zu dem Thema ein sehr viel anderes ist, als das unsere von heute.
In meiner Tätigkeit als Coach und Trainer komme ich immer wieder zu diesem Thema, aber auch im Rahmen meiner Dozententätigkeit in der Fachschulausbildung von staatlich geprüften Erziehern. Resultat ist, dass wir sehr viel über das Thema reden, auch der Annahme sind, das wir in Liebe leben, aber nicht wirklich etwas darüber wissen.
Totales Erstaunen ruft hervor, wenn der Begriff „Liebe“ in seine Bestandteile – Eros, Philia und Agape – zerlegt wird. Zu Eros gibt es dann noch Vorstellungen, zu dem Rest nicht.
- Eros – die Liebe zwischen Mann und Frau, Frau und Frau oder Mann und Mann, die auch die geschlechtliche Liebe einschließt;
- Philia – die Liebe von Eltern zu ihren Kindern, die Geschwisterliebe;
- Agape – die interessenlose, mit Achtung behandelnde Liebe. Sie gilt als metaphysische, spirituelle und gemeinschaftliche Verbindung. Es ist bedingungslose Akzeptanz und Toleranz;
Bei der Erläuterung der Begriffe gibt es dann ungläubige Gesichter, erst recht bei dem, was da wie wirkt und sich mit der Zeit verändert. Immer wieder stellt sich für mich die Frage, warum wir so ein geringes Wissen zum Thema „Liebe“ haben und wir dann auch noch der Meinung sind, genug darüber zu wissen. Wir glauben auch noch, Liebe tatsächlich zu leben, abgesehen davon, dass das Wort „Liebe“ entweder betroffen macht oder bei tieferer Betrachtung sehr schnell in einen esoterischen Bereich gedrängt wird.
Wir können allerdings diese drei Bestandteile mit den drei Formen von Intelligenz in Verbindung bringen, wobei auch diese kein Allgemeinwissen darstellen. Mit dem Verständnis gelingt es uns, unser Missverständnis zu begreifen und Liebe in ihre ursprüngliche Form zurück zu führen und zu leben.
- Eros – IQ (Intelligenz Quotient)
- Philia – EQ (emotionale Intelligenz)
- Agape – SQ (spirituelle Intelligenz – hat nichts mit Religion zu tun)
Mit den nächsten Zeilen werde ich sicherlich Widerspruch erzeugen, aber nur Widerspruch erzeugt Nachdenken.
Unser gesamtes gesellschaftliches System ist auf Konkurrenz aufgebaut. Diese durchdringt alle Bereiche unserer Gesellschaft bis in deren kleinste Zelle, die Familie bzw. was heute noch als Singlehaushalt davon übrig ist. Väter befinden sich in Konkurrenz zu den Müttern, Kinder in Konkurrenz zu den Geschwistern, Jungen zu den Vätern, die Kinder in der Schulklasse untereinander und die Arbeitswelt lebt es auf allen Ebenen und weltweit. Auf der Ebene der Familie führt sie heute dazu, dass 1/³ der Kinder in Singlehaushalten aufwachsen muss. Ursache der Konkurrenz ist wiederum das Patriarchalische in der Gesellschaft – von Männern und Männlichkeit dominiert. Es ist so dominant, dass es das Weibliche und Kindliche verdrängt, die Gleichberechtigung aufhebt. Dieser Dominanz fällt auch die Liebe zum Opfer. Die Dominanz ist so stark, dass sie männliche Allianzen schafft, die z.B. in schlechter Bezahlung von Frauen ihren Niederschlag findet oder Frauen zu kinderlosen Karrieristinnen macht. (Sowenig, wie wir über Liebe wissen, haben wir auch keine Ahnung von Gleichberechtigung, wir interpretieren sie als „die Frau dem Manne gleich“, es geht aber um Weiblichkeit)
Ursächlich für unsere aktiv gelebte „Lieblosigkeit“ ist auch das Zeitalter der Aufklärung (das Verständnis vom Menschen als biologische Maschine), in dem seit ca. 100 Jahren die Intelligenz mit dem messbaren IQ für das akademische Wissen in Form von Fakten und Zahlen die absolute Herrschaft übernommen hat. Die gesamte Welt wird zunehmend in ihre Bestandteile zerlegt und einer Logik unterworfen. Es kann nur sein, was messbar ist, was wir sehen und anfassen können.
Wir wissen, das wir mit den Sinnen – Sehen, Hören, Riechen, Fühlen und Schmecken – lernen, nur sind wir uns nicht bewusst, dass genau die Sinne in erster Linie über unsere Emotionen Gefühle auslösen, die dann wiederum auf die Lernbereitschaft wirken. Noch bevor der IQ messbar ist, sind unsere Emotionen durch Eltern und erzieherisches Umfeld so geprägt, dass sie über unsere Entwicklung entscheiden.
Unsere Gesellschaft unternimmt bis in ihre kleinste Zelle alles, um uns Gefühle und Emotionen abzugewöhnen, uns massenkompatibel zu machen, die Individualität zu nehmen. In diesem Prozess verlieren wir über die Verinnerlichung des logischen Denkens den Kontakt zu unseren Emotionen. Dieser Verlust führt nicht nur zu einem Missverständnis unserer Rolle im Bezug auf andere Personen, gerade auch de anderen Geschlechts, sondern auch im Bezug auf uns selber. Konkurrenz führt zu fortlaufendem Kampf, der nur mit Sieg oder Niederlage enden kann. Daraus entwickelt sich Angst, die unsere Gedanken und Handlungen lähmt und zu Inaktivität führt. Diese wiederum führt zu Kritik an uns und anderen Menschen, was uns letztlich zum Mangel an Liebe zu uns selbst führt (nicht Egoismus). Genau daraus entsteht eine ständige emotionale Verletztheit, die wir als normalen Zustand akzeptieren, der wir nicht entfliehen können, da wir gar nicht wissen, dass etwas Anderes möglich und machbar ist. Wir unterliegen dem Irrtum, dass Liebe das ist, was wir im Elternhaus erleben und dann auch weiter leben.
In unserer scheinbar logischen Welt versuchen wir auch die Liebe logisch zu leben, sie rational zu betrachten. Rationalität und Logik führt aber zu kalkulierenden Erwartungen und berechenbaren Ergebnissen. Das ist aber in der Liebe als Gefühl nicht möglich. Liebe ohne Emotionen gibt es nicht und kommen wir mit unseren Emotionen in Berührung, so reagieren wir entweder defensiv mit Rückzug oder offensiv im Sinne von Angriff und Verteidigung. Wir können weder mit unseren Emotionen noch den Gefühlen umgehen. Also sind wir lieber Single oder klammern uns an unsere Kinder als Partnerersatz – der nächste Gefühlsmissbrauch und eine Anleitung zum unglücklich Sein.
So brauchen wir wieder Kontakt zu uns selbst, um auch andere Menschen spüren zu können. Die Hirnforschung hat das schon lange bestätigt, es ist nur bei uns Menschen noch lange nicht angekommen, was in unserem Körper vor sich geht, wir sind von den Prozessen in uns abgeschnitten, wir haben unseren Geist von unserem Körper getrennt. Die Konsum- und Kommunikationsgesellschaft hält diese Trennung bewusst aufrecht.
Wächst ein Kind im Mutterleib heran, so haben die werdenden Eltern tatsächlich eine emotionale Bindung zu dem Fetus. Diese ist auch noch nach der Geburt eine Weile uneingeschränkt vorhanden. Es ist die Verbindung von Philia und EQ. Mit der Entwicklung des Kindes von ca. dem 2. – zum 6. Lebensjahr geht aber diese emotionale Bindung zurück und wandelt sich vom 7. bis ca. 12. Lebensjahr in eine intellektuelle Bindung, gemessen am IQ. Das Kind bekommt nicht einfach die notwendige Zuneigung und Liebe, sondern muss sich diese durch Leistungen verdienen. Werden die Erwartungen der Eltern nicht erfüllt, droht Liebesentzug oder wird gar praktiziert. Da Kinder auch nicht in der Lage sind, sein können, zu erkennen, dass die Unzulänglichkeiten im Verhalten der Eltern ihnen gegenüber nichts mit dem kindlichen Verhalten zu tun haben, geben sie sich selber automatisch die Schuld für elterliche Fehlleistungen. Das wiederum geschieht rückwirkend auch noch im Erwachsenenalter, indem sich auch dann noch die Schuld an elterlicher körperlicher und physischer Gewalt gegeben wird „ … sie konnten ja gar nicht anders, da ich ein so anstrengendes und stressiges Kind war“.
Da die große Gesellschaft ebenso, wie die kleine der Familie eben nicht auf Gefühle setzt, haben wir nur wenig bis gar keine Chancen, nicht in den Bereich des IQ zurück zu fallen, wenn das auch nicht gleichbedeutend damit ist, einen hohen IQ haben zu müssen.
Solange wir es praktizieren, das uns umgebende objektive und subjektive Umfeld in Freund und Feind, in sympathisch und unsympathisch, in klug und unklug, in richtig und falsch, schön und hässlich und ähnliche gegensätzliche Begriffe zu fassen, zu bewerten und zu beurteilen und damit zwangsläufig zu verurteilen, werden wir weder Liebe geben können, noch geliebt werden.
Liebe im Sinne von Agape ist völlig wertfrei gegenüber allen Umständen und Erscheinungen. Sie bedeutet, die Dinge so hinzunehmen, wie sie sind. Betrachten wir unsere ständigen Versuche, gleichgültig was, zu verändern, zu manipulieren oder zu beeinflussen, so können wir feststellen, dass wir keinen Erfolg damit haben. Kurzfristiger Erfolg zerfällt oder kehrt sich in sein Gegenteil um. Wieder kehrende Enttäuschungen, die wir im Leben in unterschiedlichsten Bereichen erfahren, haben immer wieder etwas mit unseren Erwartungshaltungen, unseren Manipulationsversuchen, zu tun. Das betrifft auch das „enttäuschende“ Verhalten von Kindern und anderen Personen in unserem Umfeld.
Spirituelle Intelligenz bedeutet, die Antwort auf die persönliche und höhere Sinnfrage zu suchen, zu erkennen, ein Individuum zu sein und eben nicht massenkompatibel. Mit Disziplin geht es dann darum, an der persönlichen Veränderung zu arbeiten. Individuum bedeutet auch, sich in erster Linie als Mensch zu sehen und zu erkennen und nicht als biologische Maschine mit messbaren Kriterien. Alle Intelligenz im Sinne von IQ nutzt mir nur dann dauerhaft, wenn ich sie nicht zweck- oder personengebunden einsetze. Spirituelle Intelligenz fragt eben so wenig, wie Agape nach dem „wofür“ und „für wen“, sie gibt, ohne haben zu wollen. Agape und SQ bilden dabei eine Einheit und machen uns frei von Erwartungen und damit auch Enttäuschungen, von dem Willen, Umstände und Personen zu unserem ganz persönlichen Vorteil zu manipulieren. Sie machen uns auch frei von dem Glauben, angegriffen zu werden und verteidigen zu müssen. Erschließt sich uns Agape, haben wir sicherlich immer noch eine Wahrnehmung für Ereignisse, die uns emotional auch negativ erreichen, aber wir können mit diesen wesentlich wertfreier umgehen. Wir erkennen, dass die Handlungen von Personen nichts mit uns persönlich zu tun haben, die Personen austauschbar sind. Damit haben wir die Freiheit, eben nicht aus negativen Emotionen handeln zu wollen oder zu müssen.
Wir selber brauchen keine menschlichen Spielbälle und werden auch nicht mehr zum Spielball, wir steigen aus dem Spiel von Siegen und Verlieren, aus dem fortlaufenden Mangeldenken aus.
Gerade jene, die Liebe predigen, können sie nicht leben, da sie Andersartigkeit bei z. B. Sexualität, Religiosität, Verhalten nach Normen nicht tolerieren. Mit wenigen Ausnahmen bringt Religion nicht Liebe, sondern Zwietracht. Angst vor Gott und Schuld im Sinne von Versündigung haben nichts mit Liebe zu tun. Wie soll man jemanden lieben, der mit Strafe droht, egal ob einen Gott oder die Eltern – für Kinder sind Eltern die Götter.
Was wir also in unserer Alltagswelt als Liebe leben, was wir glauben, an Liebe zu geben und auch empfangen, hat kaum etwas mit dem zu tun, was es tatsächlich ist. Wenn wir behaupten, in Liebe zu leben, so verhält sich unsere Erfahrung zum tatsächlichen Inhalt wie die Behauptung, dass sich die Sonne um die Erde dreht.